Zahlt die Berufsunfähigkeitsversicherung, wenn ich in Folge einer Verkehrsstraftat oder einer Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr berufsunfähig werde?

Die Klausel Verbrechen und Vergehen habe ich früher einfach mit „Sie gehen mit einer Maske in die Bank um Geld abzuheben …“ erklärt. In Zeiten von Corona ging oder geht jeder mit Maske in die Bank. Gemeint ist natürlich, Sie gehen mit Waffe und Maske in die Bank, salopp ein Banküberfall.

Nun schießen Sie sich dabei versehentlich ins eigene Bein und werden in Folge berufsunfähig. Blöd gelaufen, denn der Banküberfall war zweifelsfrei eine Straftat, eine Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung ist nicht zu erwarten.

Was lapidar, ggf. sogar amüsant klingt, ist zumindest emotional ein durchaus weitreichendes Thema. Denn Verbrechen und Vergehen begegnen uns auch in einem  anderen Bereich, von dem wir alle tagtäglich betroffen sind. Im Straßenverkehr, egal ob als Fußgänger, Radfahrer oder Autofahrer.

  1. Verbrechen = Verkehrsstraftat
  2. Vergehen = Ordnungswidrigkeit

Beispiele in Bezug auf Verkehrsdelikte aus den Versicherungsbedingungen

Der Paragraf zur den Leistungsausschlüssen beginnt grundsätzlich mit „Wir wollen grundsätzlich leisten … bla bla …“, „… wir leisten aber nicht, wenn die Berufsunfähigkeit verursacht wurde durch …“. Die nachfolgenden Aufzählungen in der Klausel sind dann die Leistungsausschlüsse.

Es gibt am Markt sehr unterschiedliche Varianten der Klausel Verbrechen und Vergehen, nachfolgend zwei Beispiele mit sehr deutlichem Unterschied.

Wiedereinschluss aller Verkehrsdelikte am Beispiel

LV1871 Golden BU Stand 01/2022

Die LV1871 schließt zunächst Straftaten (Versuch oder Durchführung) pauschal aus. Schließt dann aber Verkehrsdelikte und fahrlässige Verstöße pauschal wieder ein. Verkehrsdelikte sind wiederum der Oberbegriff für Ordnungswidrigkeiten und Verkehrsstraftaten.

Das Thema Straßenverkehr wird also vollständig wieder eingeschlossen. Diese theoretische Musterregelung haben nur recht wenige Gesellschaften, neben der LV1871 beispielsweise traditionell die Alte Leipziger, seit kurzem auch der HDI.

Ausschluss vorsätzliche Ordnungswidrigkeiten und Verkehrsstraftaten am Beispiel

Bayerische Komfort, Stand 01/2022

In dieser Variante werden zunächst Straftaten (Versuch oder Durchführung) pauschal ausgeschlossen. Es folgt der Wiedereinschluss für fahrlässige und grob Fahrlässige Verstöße (z.B. im Straßenverkehr).

Das meint, fahrlässige und grobfahrlässige Ordnungswidrigkeiten (Verstöße) werden wieder eingeschlossen, vorsätzliche Ordnungswidrigkeiten sowie generell alle Verkehrsstraften bleiben ausgeschlossen.

Diese Variante der Klausel ist marktüblich, also bei den meisten Gesellschaften so oder so ähnlich ausgeprägt.

Rechtliche Grundlagen Verkehrsstraftaten

Ordnungswidrigkeiten und Verkehrsstraftaten lassen sich grob dadurch unterscheiden, dass Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr üblicherweise nur mit einer Geldstrafe, Verkehrsstraftaten hingegen auch mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden können.

Die gängigste Ordnungswidrigkeit im Kontext ist die einfache Geschwindigkeitsüberschreitung, welche einfach fahrlässig bis vorsätzlich begangen werden kann.

Verkehrsstraftaten finden sich insbesondere im §315b, c und d StGB. Wobei der §315c StGB die größte theoretische Relevanz im Kontext hat. Dieser besteht wiederum aus zwei wesentlichen inhaltlichen Teilen.

Im Absatz 1 Satz 1 geht es um Alkohol, Drogen und geistige / körperliche Mängel. Alkohol und Drogen dürfte das sein, woran zunächst jeder im Kontext Verkehrsstraftat denken würden.

Problematischer ist aber der zweite Teil, Absatz 1 Satz 2:

(1) Wer im Straßenverkehr
2. grob verkehrswidrig und rücksichtslos

  • a) die Vorfahrt nicht beachtet,
  • b) falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt,
  • c) an Fußgängerüberwegen falsch fährt,
  • d) an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt,
  • e) an unübersichtlichen Stellen nicht die rechte Seite der Fahrbahn einhält,
  • f) auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen wendet, rückwärts oder entgegen der Fahrtrichtung fährt oder dies versucht oder
  • g) haltende oder liegengebliebene Fahrzeuge nicht auf ausreichende Entfernung kenntlich macht, obwohl das zur Sicherung des Verkehrs erforderlich ist,

und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Quelle: §315c StGB Stand 03.05.2022

Schaut man sich die Beispiele aus den Spiegelstrichen an, wird man wohl zugeben müssen, das ein oder andere schon mal getan zu haben oder hin und wieder zu tun. Nur hat man die finale Voraussetzung nicht erfüllt, die Gefährdung von Leib und Leben anderer Menschen (oder Sachen von bedeutendem Wert).

Salopp formuliert: Es ist gar nicht mal so schwer eine Verkehrsstraftat zu begehen. Doch welche praktischen Auswirkungen hat das nun, wenn wir eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen wollen?

Beispiele und Erläuterungen zum Verständnis der Klausel

Nähern wir uns der Problematik zunächst einmal mit verständlichen, bewusst vereinfachten Beispielen.

Beispiel fahrlässige Ordnungswidrigkeit

Herbst, nasse Landstraße, bedeckt mit Laub, 70er Zone aber wir fahren 120 km/h. Nun kommt eine Kurve, in der wir aber rechts rausrutschen. In Folge kommt es zu einer Berufsunfähigkeit.

Die Story bezahlt jeder Versicherer, völlig egal wie schlecht die Klausel Verbrechen und Vergehen ausgestaltet ist. Die ganze Story war einfache, schlimmstenfalls grobe Fahrlässigkeit.

Beispiel vorsätzliche Ordnungswidrigkeit

Herbst, nasse Landstraße, bedeckt mit Laub, 70er Zone aber wir fahren 120 km/h. Nun kommt eine Kurve, in der wir aber rechts rausrutschen. Die Feuerwehr kommt, um uns aus dem Wrack zu schneiden, die Polizei steht daneben und wir stammeln noch „Ich musste doch schnell nach Hause, meine Frau liegt in den Wehen.“. In Folge kommt es zur Berufsunfähigkeit.

An dieser Stelle haben wir selbst Vorsatz zugegeben. Man könnte Bände mit landesgerichtlicher und oberlandesgerichtlicher Rechtsprechung zum Thema vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung füllen. Quintessenz: Man muss schon extrem übertrieben haben, damit ein Vorsatz unabhängig von „ich gebe den Vorsatz selbst zu“ angenommen werden kann.

Problem, im oberen Beispiel der Bayerischen sind vorsätzliche Ordnungswidrigkeiten bereits ausgeschlossen. Theoretisch also nicht vom Versicherungsschutz erfasst.

Beispiel Verkehrsstraftat

Herbst, nasse Landstraße, bedeckt mit Laub, 70er Zone aber wir fahren 120 km/h. Nun kommt eine Kurve, in der wir aber LINKS rausrutschen. Wir nehmen den entgegenkommenden Familienvater mit, der schwer verletzt oder getötet wird. Wir selbst werden in Folge berufsunfähig.

Da wir Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet haben und an unübersichtlichen Stellen zu schnell gefahren sind, könnte es unter Umständen eine Verkehrsstraftat gewesen sein.

Verkehrsstraftaten sind nur bei sehr wenigen Versicherern nicht ausgeschlossen, siehe obiges Beispiel LV1871.

Fazit zur Klausel und Entscheidungshilfe

Das Thema Straßenverkehr ist ein sehr emotionales Thema, schlicht weil wir quasi alle davon betroffen sind. Auf Basis der vorhergehenden Beispiele müsste man zu dem Schluss kommen, dass besser ein Tarif mit theoretisch perfekter Klausel zu wählen wäre.

Es lauert jedoch ein großes ABER.

Der leistungsunwillige Versicherer muss die Kausalität zum Leistungsfall beweisen und das platt formuliert ähnlich mathematisch eineindeutig. Meint, der Leistungsfall muss direkt kausal zur bspw. begangenen Straftat sein.

Das ist für den Versicherer ein schwieriges bis hoffnungsloses Unterfangen.

Beispiel:

Wir begehen eine wie auch immer geartete Verkehrsstraft, in Folge überschlagen wir uns, die Karre geht wie in einem Hollywoodfilm in Flammen auf, 2/3tel unserer Haut verbrennen, wir werden in Folge berufsunfähig.

Die Kausalität war schlicht, dass die Karre in Flammen aufgegangen ist, in Folge 2/3tel der Haut verbrannt sind und wir nun berufsunfähig sind. Die Straftat davor spielt überhaupt keine Rolle.

Das ist auch der Grund, warum dieser Aspekt der Klausel Verbrechen und Vergehen nahezu keinerlei spürbare Praxisrelevanz besitzt. Es ist kaum möglich eine direkte Kausalität herzustellen. Ambitionierte Interessenten versuchen das in der Beratung immer mal wieder, der Rekord liegt bei knapp 15 Minuten. Gelungen ist es noch keinem.

Ich will das Thema nicht künstlich klein reden. Habe ich eine schmerzfreie Wahl und ansonsten nahezu identische Auswahlparameter, nehme ich natürlich die theoretisch bessere Klausel an dieser Stelle. Eine grundsätzliche Entscheidung allein auf Basis dieser Klausel würde ich mangels Praxisrelevanz selbst jedoch nicht treffen.

Gerade in der von mir sehr häufig eingesetzten Zweivertragskonstellation spielt es praktisch keine Rolle, wenn einer der beiden Versicherer hier eine schlechtere Klausel hat.

Platter formuliert: Eine gute Klausel an dieser Stelle ist bestenfalls emotional nice to have, aber aus meiner Sicht keine Entscheidungsgrundlage für oder gegen einen bestimmten Tarif.