Vermutlich ist es politisch inkorrekt, aber es ist eine Tatsache. Die kleinen aber feinen Unterschiede zwischen Frau und Mann gibt es auch in Bezug auf die Berufsunfähigkeitsversicherung. Schauen wir uns nachfolgend an, worauf Frauen bei Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung genauer achten sollten.
Inhaltsverzeichnis – Berufsunfähigkeitsversicherung für Frauen
- Problemstellungen und Herausforderungen BU für Frauen
- GKV-Aktenlage von Frauen ist häufig problematischer als bei Männern
- Längere Ausbildung, weniger Einkommen und spätere Karriere
- Geburt eines Kindes und Kindererziehung
- Frauen denken häufiger in Bedarfsgemeinschaften
- Vertrauen in die staatliche Absicherung ist höher als bei Männern
- Die Wechselwirkungen einer Berufsunfähigkeit auf die gesetzliche Rentenversicherung werden unterschätzt
- Worauf Frauen bei Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung achten sollten
- Meine eigene Lernkurve in der BU-Vermittlung für Frauen
Besonderheiten und Problemstellungen in der BU für Frauen
Basierend auf offiziellen Statistiken und meinen persönlichen Erfahrungswerten treten in der BU-Beratung für Frauen regelmäßig wiederkehrend die nachfolgenden 7 Besonderheiten und Problemstellungen auf.
Diese gilt es zu zunächst zu verstehen um dann beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung Lösungen dafür finden zu können.
7 Besonderheiten und Problemstellungen in der Berufsunfähigkeitsversicherung für Frauen
GKV-Aktenlage von Frauen ist häufig problematischer als bei Männern
Hauptsächlich liegt das am Thema Frauenarzt und ist systemisch bedingt. Ich würde behaupten, dass die GKV Akte bei Frauen über 25 mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 60 % falsche Abrechnungsdiagnosen enthält.
Vom vermeintlich trivialen Wechsel der Kontrazeptiva über abrechnungsoptimierte Kinderwunschbehandlung, bis hin zum Thema Mutter-Kind-Kuren, ist die Aufbereitung der Gesundheitshistorie bei Frauen häufiger ein umfangreiches Thema. Zudem treten natürlich frauenspezifische Vorerkrankungen auf, eine Zervixdysplasie ist beim Mann dann doch eher unwahrscheinlich.
Rein statistisch treten psychische Beschwerden und Erkrankungen bei Frauen bereits in jungen Jahren deutlich häufiger auf, als bei Männern. Genauere Informationen zur Versicherbarkeit psychischer Vorerkrankungen finden sich im entsprechenden Blogbeitrag.
Grundsätzlich sehe ich die Anforderung von GKV Akten NICHT pauschal als zwingend notwendig an. Bei Frauen ab etwa 25 Jahren macht das aber basierend auf meinen Erfahrungswerten regelmäßig Sinn.
Längere Ausbildung, weniger Einkommen und spätere Karriere
Zumindest bei meinen Interessentinnen war es wiederholt so, dass die akademische Laufbahn länger dauerte als bei den Männern. Überspitzt formuliert: Während der Informatiker schon nach dem Bachelor dem Ruf des Geldes folgte, hängte die Computerlinguistin den Master und schließlich eine Promotion dran.
Das ist durchaus eine inhaltliche Herausforderung, da insbesondere die marktüblichen Nachversicherungsoptionen – salopp Erhöhungsmöglichkeiten – regelmäßig eher auf eine schnelle Gehaltsentwicklung nach frühem Berufseinstieg ausgelegt sind.
Rein statistisch werden Frauen bei gleicher Qualifikation noch immer schlechter bezahlt als die Männer. Meine persönlichen Erfahrungen in der BU-Vermittlung bestätigen dies. Bei meinen hoch qualifizierten Kundinnen lag das aber häufiger an der Wahl des Arbeitgebers und der Wahl des Tätigkeitsfeldes. Mir scheint, das reine Einkommen ist weitaus seltener das wesentliche Auswahlkriterium in der Berufswahl als bei Männern.
Auch das ist eine systemische Herausforderung, denn die Ausgangs-BU-Rente bei Abschluss muss in wirtschaftlicher Angemessenheit zum Einkommen stehen. Die ursprüngliche BU-Rentenhöhe hat aber wiederum Auswirkungen auf die spätere Flexibilität und Anpassbarkeit, beispielsweise im Kontext einer Zweivertragslösung.
Die positive Ausnahme geschlechtsneutraler Bezahlung stellen in meinem Kundenbestand die Ärzte dar. Es ist aber gar nicht so leicht, eine typische Ärztekarriere, wenigstens von der Assistenzärztin bis hin zur Oberärztin, bereits beim Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung sinnvoll abzubilden.
Frauen machen (bspw. in Folge berufsbegleitender Kindererziehung) häufig später Karriere als Männer. Späte Karrieren ab bspw. Mitte 40 bilden die meisten Versicherungsbedingungen aber praktisch gar nicht sinnvoll ab. Schlicht, weil erhebliche Erhöhungen der BU-Rente zeitlich nah zum statistischen Hochrisikoalter – zwischen 48 und 55 Jahren – für die Versicherer nicht erstrebenswert sind.
Das Thema Geburt eines Kindes und Kindererziehung
Neben der zuvor besprochenen Kinderproblematik in jungen Jahren gilt es zu beachten, dass hochqualifizierte Frauen heute häufig sehr viel später Mütter werden, als das früher der Fall war. Beispielsweise Mitte der 30er, wenn bereits die ersten Karriereschritte erfolgreich absolviert wurden.
Entsprechend stellt sich die Herausforderung, Berufsleben und Kind unter einen Hut zu bringen. Dieses Problem existiert auch in Bezug auf die Wahl einer bedarfsgerechten Berufsunfähigkeitsversicherung.
Mein auf Mediziner spezialisierter Kollege Michael Schreiber hat das vor Jahren mal treffend formuliert:
„Genau. Meine Oberärztin hat ihr jahrelanges Studium erfolgreich absolviert, sich durch die intensive Assistenzarztzeit bis hin zur Oberärztin gekämpft, nur weil ihr eigentlicher Lebenstraum schon immer Hausfrau war.“
Natürlich nicht. Die durchschnittlichen Versicherungsbedingungen einer Berufsunfähigkeitsversicherung machen sich aber denkbar wenig Gedanken um die Lebensrealität von Frauen, die Karriere und Kind erfolgreich gleichzeitig managen.
Ein leicht verständliches, wenn auch eher weniger wichtiges Beispiel:
Praktisch jede Berufsunfähigkeitsversicherung hat eine Erhöhungsoption bei Geburt eines Kindes. Das verpufft bei Frauen aber üblicherweise, da im Nachgang zur Geburt fast immer die Elternzeit folgt, während der die notwendige wirtschaftliche Angemessenheit für eine Nachversicherung gar nicht vorliegt.
Benötigt wird stattdessen ein Nachversicherungsereignis, welches an den beruflichen Wiedereinstieg nach der Elternzeit und / oder Teilzeittätigkeit gekoppelt ist.
Frauen denken häufiger in Bedarfsgemeinschaften
Eines der größten praktischen Probleme in der BU-Vermittlung an Frauen ist die Gretchenfrage: Wie viel BU-Rente ist sinnvoll?
Aus verschiedenen Gründen tun sich Frauen hier erfahrungsgemäß viel schwerer als die Männer.
Einer der Gründe dafür: Frauen rechnen häufiger in Bedarfsgemeinschaften als Männer. Selbst dann, wenn die Frau in der Beziehung das höhere Einkommen erzielt.
Noch nie, wirklich nie (!) habe ich von einem männlichen Interessenten gehört, „aber die Miete teil ich mir mit meiner Freundin“. Diese Gedankengänge kommen bei Männern einfach nicht vor.
Der eigene BU-Absicherungsbedarf darf niemals in Abhängigkeiten von – ggf. temporären – Bedarfsgemeinschaften ermittelt werden.
Das Vertrauen in die staatliche Absicherung ist höher als bei Männern
Generell sind 9 von 10 bestehenden BU-Renten viel zu niedrig, die restlichen nur zu niedrig angesetzt. Liegt unter anderem daran, dass eine Berufsunfähigkeitsversicherung über die Laufzeit gesehen nicht gerade billig ist und die durchschnittliche Beratungsqualität nicht gerade zu höherer Ausgabenbereitschaft führt.
Bei Frauen ist der Unterschied zwischen tatsächlichem Bedarf und gewünschter Absicherungshöhe fast immer noch drastischer. Dafür gibt es viele Gründe. Neben dem Denken in Bedarfsgemeinschaften ist häufig auch das Vertrauen in die staatliche Absicherung bei Erwerbsunfähigkeit.
Die Leistungsvoraussetzungen der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung und der staatlichen Erwerbsminderungsrente unterscheiden sich aber erheblich. Tritt Berufsunfähigkeit ein, besteht keinesfalls zeitgleich auch automatisch Anspruch auf Erwerbsminderungsrente. Entsprechend ist die gesetzliche Erwerbsminderungsrente bei der Bedarfsermittlung im Zuge einer Berufsunfähigkeitsversicherung besser NICHT zu berücksichtigen.
Das Absicherungsziel der Erwerbsminderungsrente ist nur das absolute Existenzminimum. Das hat nichts mit dem Erhalt des Lebensstandards durch Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu tun.
Die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente (West) für Frauen betrug bei Eintritt der Erwerbsminderung in 2021 lediglich 859 Euro monatlich.
Wechselwirkungen einer Berufsunfähigkeit auf die gesetzliche Rente werden unterschätzt
Frauen erwerben statistisch gesehen deutlich geringere Rentenansprüche als Männer. Dafür gibt es weit mehr Gründe, als wir hier thematisiert haben. Aber auch die zuvor genannten Probleme und Besonderheiten führen zu Wechselwirkungen auf die zu erwartende gesetzliche Rente.
Tritt nun auch noch der Leistungsfall ein, werden während der Dauer der Berufsunfähigkeit vermutlich auch keine weiteren Rentenansprüche erworben. Oder nur deutlich geringere Rentenanwartschaften, wenn zusätzlich die Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente erfüllt sind, oder ein anderer Job tatsächlich ausgeübt wird.
Das führt dazu, dass eine bedingungsseitig sehr gut geregelte Verlängerungsoption bei Anhebung der Regelaltersgrenze in der GRV / im Versorgungswerk für Frauen ein noch wichtigeres Thema ist, als ohnehin schon für die Männer.
Worauf Frauen bei Abschluss einer BU achten sollten
Lange Rede, kurzer Sinn. Aus den vorhergehenden Überlegungen ergeben sich im Wesentlichen drei Dinge, auf die Frau bei Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung achten sollte:
In Bezug auf die Versicherungsbedingungen betrifft das insbesondere die folgenden Themen, zu denen Sie mit Klick auf den Link jeweils detaillierte Informationen abrufen können:
- Nachversicherungsoptionen und Nachversicherungsgarantien
- Verlängerungsgarantie bei Anhebung der Regelaltersgrenze in GRV / Versorgungswerk
- Stundungsoptionen
- Bedingungsseitige Einschränkungen in Bezug auf die Beitragsdynamik
- Berufsdefinitionen im Zuge von Teilzeit und Kindererziehung
Gern bin ich bei der Vermittlung einer dauerhaft bedarfsgerechten Berufsunfähigkeitsversicherung behilflich.
Meine eigene Lernkurve in der BU-Vermittlung für Frauen
In meinen ersten Jahren als auf die Berufsunfähigkeitsversicherung spezialisierter Versicherungsmakler war der Frauenanteil im Bestand gering. Da mein typischer Neukunde meist MINT-Absolvent war oder aus einem technisch geprägten Beruf kam, war das auch nicht unbedingt erstaunlich.
Ich selbst sah meine Stärken auch nie darin, Frauen in Bezug auf die Berufsunfähigkeitsversicherung zu beraten. Ich bin davon überzeugt, dass der Vermittler in erster Linie den Kunden oder eben die Kundin verstehen muss, um überhaupt bedarfsgerecht beraten und am Ende ein sinnvolles Vermittlungsergebnis erzielen zu können.
Allerdings bin ich von Natur aus weder sonderlich empathisch, noch geduldig, noch charmant. Mein ganzer Beratungsablauf ist auf reine Effizienz und fachliche Qualität getrimmt.
Mit der Zeit änderte sich mein Meinungsbild. Bereits im Jahr 2020 waren rund 60 % meiner Neukunden Frauen. Mit überdurchschnittlichen Qualifikationen, denn knapp 70 % der Interessentinnen hatten eine Promotion oder waren gerade dabei zu promovieren. Auch steigt seit Jahren der Anteil an Medizinstudenten / Medizinstudentinnen und Ärzten im Kundenbestand – zwar nur leicht – aber kontinuierlich an.
Je mehr Erfahrungen ich sammelte und je intensiver ich mit den Vorstellungen, Denkweisen, Bedürfnissen und Gegebenheiten der weiblichen Interessenten in auseinandersetzte, um so stetiger stieg auch meine eigene Lernkurve an. Mit der Geburt meiner Tochter im Oktober 2020 ergab sich dann auch ein weitaus praktischeres Verständnis für diesen – zumindest im klassischen Rollenbild – nicht unerheblichen Themenkomplex.
Schmeichelhaft: In der Ausgabe 01/2023 des Magazins „Courage – Frauen & Finanzen“ wurde ich im Artikel zur Berufsunfähigkeitsversicherung neben anderen Kollegen empfohlen. Wenn mir das jemand zu Beginn meiner beruflichen Tätigkeit vorausgesagt hätte, hätte ich wohl nur herzlich gelacht.
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