Während einer jahrzehntelangen Versicherungsdauer kann viel passieren. Eine gute Berufsunfähigkeitsversicherung sollte bei jeder denkbaren Lebensentwicklung bedarfsgerecht bleiben. Das Thema Ausstieg und Ausscheiden aus dem Berufsleben ist einer dieser Aspekte.

Gemeint sind damit insbesondere die Themen Kindererziehung, Arbeitslosigkeit und Weiterbildungszeiten oder Sabbaticals. Treten derartige Ereignisse ein, kann es zu Änderungen der Leistungsvoraussetzungen einer Berufsunfähigkeitsversicherung kommen.

Betrachtet man diesen Aspekt isoliert, so ist die Handlungsempfehlung denkbar einfach und eindeutig.

Was ist ein Ausstieg oder Ausscheiden aus dem Berufsleben?

Juristen sprechen hier von der so genannten „Berufslebensklausel“. Letzten Endes eine Einzelfallabwägung, inwiefern bei längeren Unterbrechungen des eigentlichen Berufslebens noch von einer realistischen geplanten Wiederaufnahme der früheren Berufstätigkeit ausgegangen werden kann.

Es gibt weder eine einheitliche Definition noch durch Rechtsprechung abschließend ausgeurteilte Rechtsgrundsätze für das Thema Ausstieg oder Ausscheiden aus dem Berufsleben.

Daher sollten die Versicherungsbedingungen immer eine saubere Regelung zum dauerhaften Prüfkriterienerhalt bei Ausstieg oder Ausscheiden aus dem Berufsleben beinhalten. Und das sieht am Beispiel der LV1871 Golden BU, Stand 10/2020 wie folgt aus:

Um die Problematik zu verstehen, empfiehlt sich zunächst das Grundverständnis in Bezug auf „was ist der zuletzt ausgeübte Beruf“ im Kernleistungsversprechen einer Berufsunfähigkeitsversicherung.

In der Berufsunfähigkeitsversicherung ist stets eben dieser zuletzt ausgeübte Beruf (vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigungen) versichert. Auch der medizinische Leistungsnachweis ist auf diesen zuletzt ausgeübten Beruf hin zu führen.

Dieser Grundsatz in der Bearbeitung von BU-Leistungsfällen kann abhängig von der individuellen Situation sowohl positive als auch negative praktische Aspekte haben.

Wenn Sie heute beispielsweise als Student eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen und nach Berufseintritt die Karriereleiter nach oben klettern, bewirkt dieser Grundsatz eine so genannte Statusabsicherung.

Nehmen wir an, Sie sind zum Zeitpunkt des Leistungsantrags Abteilungsleiter bei einem deutschen Autobauer. Dann ist der Leistungsnachweis auf diesen zuletzt ausgeübten Beruf hin zu führen. Ebenfalls wird die Lebensstellung als Schutzbarriere für eine spätere konkrete Verweisung auf Basis des zuletzt ausgeübten Berufs ermittelt. Die Lebensstellung besteht aus den Aspekten soziale Wertschätzung und zumutbare Einkommensreduzierung. Genauer erklärt in den Artikeln zu Verweisung und Umorganisation.

Es geht aber eben auch andersrum. Beispielsweise könnten Sie im Zuge Geburt eines Kindes zeitlich befristet aus dem Berufsleben aussteigen (oder die Arbeitszeit reduzieren), Sie könnten für längere Zeit arbeitslos werden oder schlagen möglicherweise einen zweiten Bildungsweg ein. Auch ein Sabbatical wäre denkbar.

Wäre der zuletzt ausgeübte Beruf nun die Elternzeit oder die Arbeitslosigkeit, würde sowohl der Leistungsnachweis erschwert, als auch die Nachhaltigkeit des Versicherungsschutzes im Sinne der Lebensstellung kollabieren.

An dieser Stelle wird das vermeintlich einfache Thema Ausstieg und Ausscheiden aus dem Berufsleben richtig kompliziert. In der Rechtsprechung gibt es keine eindeutigen oder abschließenden Grundsätze, nur rudimentäre Schutzmechanismen, zum Beispiel:

  1. Gerichte haben Elternzeit (12 – 14 Monate) nicht als Ausstieg / Ausscheiden aus dem Berufsleben gewertet
  2. Kindererziehungszeiten von bis zu 36 Monaten (Kindererziehungszeit GRV) ebenfalls nicht
  3. Bei Arbeitslosigkeit von maximal 3-5 Jahren wird eine beabsichtigte Wiederaufnahme der Tätigkeit unterstellt

Elternzeit und Mutterschutz sind zunächst nur eine Unterbrechung der beruflichen Tätigkeit. Im Einzelfall entschied der BGH mit Urteil des IV. Zivilsenats vom 30.11.2011 – IV ZR 143/10, dass auch losgelöst von der Dauer der Unterbrechung auf den zuletzt ausgeübten Beruf abzustellen ist.

Siehe Ziffern 29-31 des Urteils.

Zitat aus o.g. Urteil:

Auf den Beruf der Erzieherin wäre nur dann nicht mehr abzustellen, wenn die Klägerin diese berufliche Tätigkeit bewusst zugunsten einer dauernden Tätigkeit als Hausfrau aufgegeben hätte oder aber die Zeitspanne zwischen der Beendigung der früheren Tätigkeit und dem Versicherungsfall so groß wäre, dass sie ihre berufliche Qualifikation für den vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ausgeübten Beruf verloren hätte und diesen aus fachlichen Gründen nicht mehr fortführen könnte.

Und hier offenbart sich das Problem. Ab wann ist nicht mehr von einer vorübergehenden Unterbrechung auszugehen? Wann ist man freiwillig Hausfrau? Will man das über 3 Instanzen vor Gericht klären?

Ein sauber geregelter dauerhafter Prüfkriterienerhalt bei Ausstieg oder Ausscheiden aus dem Berufsleben schiebt dieser Problematik einen Riegel vor.

Unberührt davon bleiben leidensbedingte Berufswechsel oder Arbeitszeitreduzierungen. Reduziert ein Arbeitnehmer seine Arbeitszeit ob der beginnenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, ist im später folgenden Leistungsfall immer auf den zuletzt ausgeübten Beruf vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigungen abzustellen.

Siehe bspw. Urteil des OLG Saarbrücken, 28.04.2014 – 5 U 355/12

Arbeitslosigkeit ist kein Beruf im Sinne einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Schlicht keine auf Dauer angelegte Tätigkeit, die dazu dient, den Lebensunterhalt zu verdienen.

Somit müsste man bei einer Arbeitslosigkeit eigentlich von einem Ausstieg / Ausscheiden aus dem Berufsleben ausgehen. Diesbezüglich gibt es jedoch durchaus unterschiedliche höhere Meinungen. Insbesondere weil Arbeitslosigkeit in der Regel schlicht nicht freiwillig und die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit beabsichtigt ist.

Grundsätzlich ist beginnend mit BGH 13.05.1987 IVa ZR 8/86 und in Folge eine temporäre Arbeitslosigkeit weder ein Berufswechsel noch ein Ausscheiden aus dem Berufsleben. In älteren Versicherungsbedingungen zum Thema Ausscheiden / Ausstieg aus dem Berufsleben wird Arbeitslosigkeit daher teils konkret benannt oder über generell auf 3 bis 5 Jahre befristete Prüfkriterienerhalte eingeschränkt.

Das zeigt wieder das eigentliche Grundproblem. Bei Langzeitarbeitslosigkeit (… wann bin ich eigentlich „langzeitarbeitlos“, laut Arbeitsamt nach 12 Monaten …)  gibt es weder diesen zuvor beschriebenen Absicherungsmechanismus noch einheitliche juristische Meinungen.

Vielmehr ist es ein Ermessensspielraum, inwieweit Zitat LG Saarbrücken (25.05.2005): „alle Band zur früheren Tätigkeit abgeschnitten“ erscheinen.

Anders formuliert, die Story ist höchst individuell und hängt vom Richter ab. Bei einem Informatiker, der bereits 10 Jahre aus dem Beruf raus ist, dürfte sich auf dem Arbeitsmarkt andere Entwicklungen ergeben haben, als bei Verwaltungstätigkeiten im öffentlichen Dienst.

Daher ist es schlicht auch im Kontext Arbeitslosigkeit besser, wenn ein dauerhafter Prüfkriterienerhalt bei Ausstieg oder Ausscheiden aus dem Berufsleben vereinbart ist.

Empfehlung unbegrenzter Prüfkriterien und Negativbeispiele

Wie den Beispielen zur Rechtsprechung zu entnehmen ist, geht es stets um eine Einzelfallabwägungen. Und diese Frage nach der beabsichtigten Wiederaufnahme ist schwer objektivierbar (Hausfrau oder Mutter? Langzeitarbeitslos oder Verkettung unglücklicher Umstände?).

Insofern ist es salopp ein „no-Brainer“, dass ich als junger Mensch selbstverständlich einen sauberen dauerhaften Prüfkriterienerhalt in den Versicherungsbedingungen meiner Berufsunfähigkeitsversicherung enthalten haben möchte.

Es geht dabei aber nicht allein um die Frage des Prüfberufs und der Lebensstellung. Dazu anbei zwei Beispiele. Links die alten Bedingungen der Bayerische Komfort 01/2016 und rechts die aktuellen Bedingungen Bayerische Komfort 10/2020:

An diesem Beispiel erkennt man die Probleme einer schlechten Berufslebensklausel besonders deutlich. Die alten Bedingungen aus 2017 gewähren einer Prüfkriterienerhalt nur für längstens 5 Jahre. Ausgenommen von dieser Einschränkung sind generell Arbeitslosigkeit, sowie Elterzeit (12-14 Monate) und Mutterschutz (vor Geburt und die Wochen danach).

Nach dieser Zeit ist eine abstrakte Verweisung möglich. Also eine Verweisung auf eine Tätigkeit, die rein gesundheitlich ausgeübt werden könnte (und der Lebensstellung entspricht). Unabhängig davon, ob ich den Job tatsächlich ausübe.

Die schlechteste Regelung am Markt finden wir im Cosmos Direkt Basisschutz 01/2017 (auch noch in 03/2019):

In diesem Einsteigertarif von Cosmos Direkt gibt es hinsichtlich Ausstieg und Ausscheiden aus dem Berufsleben praktisch keinerlei Schutzbarriere. Ausgehend von den Versicherungsbedingungen kann allein Cosmos Direkt entscheiden, wie sie den Einzelfall interpretieren möchten.

Heißt im Klartext, man wird erst vor Gericht zu einem Ergebnis kommen können und das kann nicht der Sinn einer Berufsunfähigkeitsversicherung sein.

Fazit und Wechselwirkungen Berufslebensklausel

Ausstieg und Ausscheiden aus dem Berufsleben ist isoliert gesehen denkbar einfach zu bewerten. Ich will auf jeden Fall einen sauberen und dauerhaften Prüfkriterienerhalt in der Berufslebensklausel. Alles andere gefährdet im Einzelfall die Nachhaltigkeit meines Versicherungsschutzes.

Tatsächlich kann man diese Regelung aber schlecht isoliert betrachten. Es treten zahlreiche Problemstellungen in Folge auf, die im Einzelfall bedingungsseitig gut oder auch weniger gut geregelt sein können.

Dazu zählen insbesondere die Weiterentwicklung der Hausfrauenklausel und Wechselwirkung zu den derzeit gehypten Teilzeitklauseln in der Berufsunfähigkeitsversicherung.

Während ein dauerhafter Prüfkriterienerhalt um 2015-2016 noch ein absolutes Oberklassekriterium war, sprich nur wenige Versicherer diesen anboten, findet man heute definitiv hinreichend Auswahl am Markt. Entsprechend ist der dauerhafte Prüfkriterienerhalt auch ein Mindestkriterium bei Auswahl einer Berufsunfähigkeitsversicherung.