Wenn Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung unbefristet anerkannt wurden, hat der Versicherer das Recht, den Fortbestand der Berufsunfähigkeitsversicherung nachzuprüfen. Dem Verfahren der Nachprüfung sind generelle formale und bedingungsseitige Grenzen gesetzt.

Was ist eine Nachprüfung in der Berufsunfähigkeitsversicherung?

In der Nachprüfung kann der Versicherer überprüfen, ob seine bereits festgestellte, zeitlich unbegrenzte Leistungspflicht durch zwischenzeitlich neu eingetretene gesundheitliche oder berufliche Veränderungen entfallen ist und er seine Leistungen deshalb wieder einstellen kann.

Für den Versicherungsnehmer, der ggf. erst in Folge einer nervenaufreibenden Erstprüfung, möglicherweise erst nach einer rechtlichen Auseinandersetzung seinen Leistungsanspruch geltend machen konnte, ist dieses Nachprüfungsverfahren eine unmittelbare Gefahr den Leistungsanspruch wieder zu verlieren.

Für den Versicherer ist das Nachprüfungsverfahren wiederum die einzige Möglichkeit, Leistungen bei einer dauerhaft anerkannten Berufsunfähigkeit wieder einzustellen.

Die Nachprüfung ist daher für beide Seiten von zentraler Bedeutung. Dem Ablauf des Nachprüfungsverfahrens sind daher durch eine Vielzahl von Rechtsgrundsätzen, grundlegender Rechtsprechung und natürlich auch durch die Versicherungsbedingungen Grenzen gesetzt.

Im Nachprüfungsverfahren trägt – anders als in der Erstprüfung oder beim befristeten Anerkenntnis – allein der Versicherer die vollständige Darlegungs- und Beweislast.

Die Häufigkeit einer Nachprüfung ist insbesondere von den vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen abhängig. Bei einer durchschnittlichen Berufsunfähigkeit ist etwa alle 2 Jahre mit einer Nachprüfung zu rechnen.

Das kann im Einzelfall auch ein deutlich längerer, oder eben auch (beispielsweise in Folge durch Meldepflichten erhaltener Erkenntnisse) kürzerer Intervall sein.

Bei unheilbaren Krankheiten ist die Nachprüfung zwar nicht generell ausgeschlossen, in Verbindung mit §31 Abs. 1 Satz 1 VVG aber regelmäßig unzulässig, da es an der Erforderlichkeit einer Nachuntersuchung fehlt.

Ist der Versicherer im  formalisierten Nachprüfungsverfahren erfolgreich, darf er die Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht sofort einstellen. Gemäß §174 Versicherungsvertragsgesetz ist dies erst nach Ablauf des dritten Monats nach Zugang der Einstellungsmitteilung beim Versicherungsnehmer möglich.

Nachprüfung in den Versicherungsbedingungen und rechtliche Grundlagen

Nur eine tatsächliche Veränderung der Verhältnisse, beispielsweise eine tatsächlich eingetretene Besserung des Gesundheitszustands, neu aufgetretene Verweisungsmöglichkeiten oder eine tatsächlich getroffene und verwirklichte Umorganisation begründen eine Nachprüfung.

Den Versicherer trifft die volle Darlegungs- und Beweislast.

Die Korrektur einer von Anfang an falschen Leistungsentscheidung im Nachprüfungsverfahren ist unzulässig. Auch zukünftig zu erwartende Veränderung sind, auch bei an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für den Eintritt, keine Begründung für eine Nachprüfung.

Auch allein die unterschiedliche Bewertung eines eigentlich unveränderten Gesundheitszustandes durch einen anderen Gutachter in der Nachprüfung gibt dem Versicherer kein Recht zur Leistungseinstellung (siehe bspw. BGH 28.04.1999 IV ZR 123/98, Ziffer 13).

Salopp, für den Versicherer ist die Einstellung der Leistungen im Zuge einer Nachprüfung ähnlich schwer, wie die Beantragung der BU Leistung für den Versicherungsnehmer. Nachteilige Regelungen in den Versicherungsbedingungen verbessern die Chancen des Versicherers und reduzieren somit die Nachhaltigkeit des Leistungsanspruch aus Sicht des Versicherungsnehmers.

In aktuellen Tarifen ist insbesondere zu prüfen, ob und welche Mitteilungspflichten des Versicherungsnehmers nach Eintritt des Leistungsfall vereinbart sind. In den Versicherungsbedingungen kann auch eine Änderung der Prüfkriterien in der Nachprüfung enthalten sein. Wir schauen uns beides nachfolgend genauer an.

Zudem hat der HDI mit dem Verzicht auf konkrete Verweisung in der Erstprüfung ein Alleinstellungsmerkmal, welches wir ebenfalls unter die Lupe nehmen werden.

Mitteilungspflichten nach Eintritt der Berufsunfähigkeit

Nach Eintritt des Leistungsfalls muss der Versicherungsnehmer nur dann von sich aus Veränderungen mitteilen, wenn solche Mitteilungspflichten ausdrücklich in den Versicherungsbedingungen vereinbart sind.

Wir unterscheiden Mitteilungspflichten zur …

  1. Verbesserung des Gesundheitszustandes / Minderung der Berufsunfähigkeit bzw. Pflegebedürftigkeit
  2. Wiederaufnahme und Änderung einer Tätigkeit
  3. Wiederaufnahme einer Tätigkeit

Der Nachweis einer objektive Veränderung des Gesundheitszustands steht im Mittelpunkt der Nachprüfung. Aus diesem Grund beinhalten einige schwächere BU-Tarife Mitteilungspflichten bei Verbesserung des Gesundheitszustandes oder Minderung der Berufsunfähigkeit. In älteren Tarifen ist diese nachteilige Regelung der Standard.

Ein verständliches Beispiel, Cosmos Direkt Basisschutz 01/2017

Derartige Mitteilungspflichten in Bezug auf die Minderung der Berufsunfähigkeit oder die Verbesserung des Gesundheitszustandes wirken in Bezug auf die aktuellen Tarifgenerationen aus der Zeit gefallen. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung mit solchen Bedingungen würde ich heute nicht mehr abschließen, diesbezüglich gibt es mehr als nur ausreichende Alternativen am Markt.

Gleichwohl bezieht sich diese Mitteilungspflicht ausschließlich auf Veränderungen mit direkter Auswirkung auf die 50 % Leistungsgrenze. Wenn Sie überspitzt nur 4 statt 10 Tabletten am Tag nehmen, der BU Grad vielleicht von 88 auf 87 % gefallen sein könnte, besteht keine Mitteilungspflicht.

Andererseits liegen BU-Grade durchschnittlich nur geringfügig über der erforderlichen 50 % Leistungsgrenze und es gibt natürlich keinen guten Grund, dem Versicherer unnötige Munition zur Begründung einer Nachprüfung zu liefern.

Auch neu aufgetretene Verweisungsmöglichkeiten oder eine tatsächlich getroffene und verwirklichte Umorganisation begründen eine Nachprüfung. Entsprechend zielen bedingungsseitig vereinbarte Mitteilungspflichten sehr häufig darauf ab.

Beispiel Wiederaufnahme und Änderung – HUK SBU 2022.01 V1

In dieser leider marktüblichen Variante muss der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Leistungsfalls sowohl die Aufnahme einer Tätigkeit, als auch die Änderung einer beruflichen Tätigkeit mitteilen.

Das ist grundsätzlich nicht so problematisch, wie Mitteilungspflichten, die sich auf die Verbesserung des Gesundheitszustands beziehen. Einerseits, weil man bspw. nicht in völliger geistiger Umnachtung einen Arbeitsvertrag unterschreibt, andererseits weil die Schutzbarrieren über die Lebensstellung bei einer beispielsweise konkreten Verweisung natürlich auch in der Nachprüfung erhalten bleiben.

Tarife mit dieser lästigen Regelung sind häufig etwas billiger. Aus meiner persönlichen Sicht kann man es vertragen, wenn in einer Zweivertragslösung ein ergänzender Vertrag diese Regelung aufweist.

Pro forma sei erwähnt, dass es auch noch Varianten gibt (bspw. CosmosDirekt Premium 01.2022), die nur die Wiederaufnahme, aber nicht die Änderung der Tätigkeit als mitteilungspflichtig regeln. In Bezug auf das Thema nachträglich tatsächlich verwirklichte Umorganisation bei Selbstständigen ist das ggf. ein etwas vorteilhaftere Nuance.

Die bequemste und unproblematischste Lösung besteht aber schlichtweg darin, dass die Versicherungsbedingungen keine solchen Mitteilungspflichten vorsehen. Aktuell bieten genügend Gesellschaften eine solche vorteilhaftere Regelung an.

HDI Alleinstellungsmerkmal, konkrete Verweisung erst in der Nachprüfung

HDI verzichtet als einziger BU-Versicherer seit einigen Jahren auf die Möglichkeit einer konkreten Verweisung in der Erstprüfung. Werblich nutzt der HDI dieses Alleinstellungsmerkmal recht intensiv. Doch ist der Verzicht auf die konkrete Verweisung tatsächlich ein großer Vorteil?

Wie immer gilt, es kommt auf den Einzelfall an.

Über die Jahre gab es verschiedene Ausprägungen dieses Alleinstellungsmerkmals des HDI. Früher konnte eine Nachprüfung quasi direkt nach Anerkenntnis erfolgen, in aktuellen Bedingungen jedoch erst nach 6 Monaten. Dieser Aspekt ist allerdings nur in formaljuristischen Szenarien rechtlicher Auseinandersetzungen mit dem Versicherer formal relevant.

Auf den ersten Blick ist der Verzicht auf konkrete Verweisung natürlich ein rechtlicher Vorteil. Würde eine konkrete Verweisung in der Erstprüfung (Sie reichen einen Leistungsantrag ein) geprüft, träfe den Versicherungsnehmer zumindest die Darlegungslast, dass die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit nicht der Lebensstellung des zuletzt vor Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübten Berufs entspricht.

Kann der Versicherer die konkrete Verweisung erst in der Nachprüfung prüfen, trifft hingegen den Versicherer die volle Darlegungs- und Beweislast.

In der Praxis ist es aber eher nicht üblich, dass bereits zum Zeitpunkt der Erstprüfung eine Tätigkeit ausgeübt wird, die der bisherige Lebensstellung entspricht. Schlicht, weil man im BU-Leistungsfall per Definition nicht gesund ist. Insofern ist der formaljuristische Vorteil eher theoretischer Natur. Ausnahmen mögen diese Regel bestätigen.

Andererseits ist eine so genannte nachgeschobene Nachprüfung grundsätzlich nicht zulässig. Hätte eine konkrete Verweisung bereits zum Zeitpunkt der Erstprüfung geprüft werden können und der Versicherer hat das nicht getan, kann der Versicherer dies auch nicht mehr in der Nachprüfung.

„Hat die Beklagte bei Abgabe des Leistungsanerkenntnisses bestehende Möglichkeiten einer Verweisung auf Vergleichstätigkeiten nicht wahrgenommen, hat sie diese auch für die Zukunft verloren (Senatsurteil vom 13. Mai 1987 – IVa ZR 8/86 – VersR 1987, 753, 754) [BGH 13.05.1987 – IV a ZR 8/86].“

Quelle: BGH Urteil IV ZR 206/91 vom 17.2.1993, Ziffer 33

Da HDI eine zum Zeitpunkt der Erstprüfung mögliche konkrete Verweisung in der Erstprüfung bedingungsseitig nicht prüfen kann, kann der HDI dies dann auch nicht mehr in der Nachprüfung.

Aus meiner Sicht ist aber auch dieser Aspekt eher theoretischer Natur. Im Einzelfall könnte er bei gebrochenen Karriereverläufen (also mehreren bereits vorhandenen, gleichwertigen Ausbildungen / Qualifikationen) zur Anwendung kommen.

Tritt die Berufsunfähigkeit während einer komplexeren, stufenweisen Ausbildung (bspw. Studium der Humanmedizin / Studium der Rechtswissenschaften) ein, und wird im Nachgang eine mit den bis dato erworbenen Qualifikationen ausübbare Tätigkeit ausgeübt, könnte es im Einzelfall ebenfalls ein Vorteil sein. Da aktuelle HDI Bedingungen aber die Lebensstellung des Studenten schon mit dem ersten Studientag auf den Zielberuf abstellen, ist dieser Aspekt zu vernachlässigen.

Fazit zum Thema Nachprüfung und Entscheidungshilfe

Die Nachprüfung ist für Versicherungsnehmer und Versicherer gleichermaßen ein heißes Thema. Zeitgemäße, qualitativ wertige Versicherungsbedingungen sind in der Regel jedoch bereits recht vorteilhaft für den Versicherungsnehmer.

Grundsätzlich sollte man prüfen, ob der Versicherer auf die ursprünglichen Prüfkriterien (meist §2 der AVB) abstellt, das ist aber in der Regel der Fall.

Einen Tarif, der Mitteilungspflichten des Versicherungsnehmers bezüglich Verbesserung des Gesundheitszustands / Minderung der Berufsunfähigkeit vorsieht, würde ich persönlich nicht abschließen. Das würde potentiellen Ärger und potentielle Diskussionen mit dem Versicherer befürchten lassen.

Bezüglich Mitteilungspflichten in Hinblick auf Wiederaufnahme und / oder Änderung der beruflichen Tätigkeit sehe ich die Sache etwas entspannter. Gerade wenn nur ein kleinerer Ergänzungsvertrag diese nicht optimale Regelung hat, kann damit aus meiner Sicht gut leben. Hintergrund dieser Einschätzung ist aber auch, dass meine Interessenten (zu ca. 80 % MINT Absolventen, Medizinstudenten usw. usf.) in der Regel ein hohes Maß an Lebensstellung als Schutzbarriere  für die konkrete Verweisung besitzen.

Bei Abschluss einer Schüler BU, als Auszubildender oder bei Berufen mit geringer Lebensstellung kann man das durchaus anders sehen.

Der Verzicht auf konkrete Verweisung in der Erstprüfung beim HDI ist aus meiner Sicht eher theoretischer Natur, bestenfalls ein nice to have. Natürlich schadet die Story nicht. Es ließen sich auch grundsätzlich Szenarien konstruieren, in denen ein tatsächlicher Vorteil entstünde. In meinen Zielgruppen ist das eher nicht der Fall. Von daher sehe ich das Alleinstellungsmerkmal des HDI für meine Kunden und Interessenten als üblicherweise nicht entscheidungsrelevant an.

Altverträge haben gegenüber zeitgemäßen Tarifen häufig erheblich schlechtere Regelungen in Bezug auf das Thema Nachprüfung. Das allein wäre aber nicht automatisch ein Grund, einen Altvertrag zu Gunsten eines Neuvertrags zu kündigen.